Dissonanz


32-wo-15--dissonanz rahmen

Das Wochentipp – Thema:
Katzenmusik Namens Dissonanz

Die Harmonie lebt von der Dissonanz.
© Manfred Hinrich (1926 – 2015), Dr. phil., deutscher Philosoph

Ein Hinterhof – Mondschein – drei Katzen, dreimal so groß wie normal, gesträubtes Fell, anliegende Ohren, mal geduckt, mal aufrecht mit Buckel stehend – dazu gar unbeschreiblich schrecklich angestrengte Töne der Disharmonie von sich gebend – fauchen, knurren, schreien – mit einem Schlag ist alles vorbei – die drei ziehen ohne einen Schlagabtausch von dannen – Ende der Vorstellung – ohne Blutvergießen – die Katzenmusik zu Ende – Ende der Dissonanz, der Unstimmigkeit …
Unser Hof gibt schon so einiges an Unterhaltungswert her und ich habe jetzt ein prima Wochentipp-Thema.

Katzenmusik als Mittel zum Revierkampf, und wie tragen wir Menschen unsere Unstimmigkeiten vor?  
Auf den Punkt gebracht hat Kurt Tucholsky dieses mit seinem Ausspruch:

„Der Mensch hat, neben dem Trieb der Fortpflanzung
und dem zu essen und zu trinken,
zwei Leidenschaften: Krach zu machen und nicht zuzuhören.“
Kurt Tucholsky (1890 – 1935 (Freitod)), Pseudonyme Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel,
deutscher Schriftsteller, Quelle: »Der Mensch«, in: ›Die Weltbühne‹, 1931

Ja, es ist ein trauriges Phänomen und das nicht erst seit der heutigen Zeit – das mit dem Zuhören Können, denn dies setzt eine Sensibilisierung der Wahrnehmung voraus – schreien, toben und Krach machen sind wohl bekannte Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen, anzugreifen oder sich zu verteidigen …

Wahrnehmung ist die Basis, der Ursprung, um sich selbst mit all seinen Sinnen und seinen Körper überhaupt besser zu entdecken. Selbstwahrnehmung kann nur über ein gut entwickeltes Körpergefühl – Körperbewusstsein stattfinden – das habe ich selbst im Laufe meiner Entwicklung einsichtig lernen dürfen.
Was mich wirklich erfreut, ist, dass heute in den Kindergärten mit den Kindern spielerische Übungen praktiziert werden, die der Sensibilisierung der Wahrnehmung dienen.

In unserer schnelllebigen Zeit einem anderen zuzuhören oder dem inneren Dialog meiner Gedanken achtgebend zu lauschen, setzt voraus, dass ich bereit bin mich auf mich selbst oder in der Außenwelt auf den anderen einzulassen.
Dazu benötige ich die Fähigkeit der Entspannung, der Konzentration, so dass ich meine Körper-Wahrnehmungen besser ermessen kann, um dann folgend auch eine angemessene Reaktion- und Koordinationsfähigkeit zu beherrschen.
Wichtig ist dies z.B. wenn man in der Umwelt mit dem Fahrrad unterwegs ist.
Das heißt im Klartext:
Zur Vermeidung von Unfällen, genau zu wissen in welcher Art und Weise ich meine Sinneseindrücke überhaupt aufnehme – z.B. kann das Headset vom iPhone im Ohr, uns daran hindern empfänglich für alle anderen Reizaufnahmen zu sein.
Die Frage ist, bin ich von meinem Denken, Fühlen und Handeln dann überhaupt in der Lage den mich umgebenden Verkehr noch richtig einzuschätzen zu können?

Einschränkungen in unserer Sinnes- und Körperwahrnehmung lassen uns im Leben jede Menge Unstimmigkeiten erleben.  
Wir Menschen haben viele verschiedene Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Haltungen, Begehren und  Zielrichtungen, welche sich nicht immer miteinander vertragen, weil sie zeitlich unvereinbar sind und sich dadurch gegenseitig im Anspruch behindern. Danach folgt in uns ein trauriger, schmerzlicher oder als diffus unangenehm empfundener Gefühlszustand.
Wenn wir achtsam mit uns sind, können wir erkennen, was sich da zurzeit unversöhnlich gegenüber steht und können es uns erlauben den Gefühlszustand anerkennend anzunehmen und dadurch aufzulösen.

Im Hotelgewerbe war ich darauf getrimmt zu lächeln und freundlich zu sein, egal wie unerträglich von seinem Betragen her sich manch ein Gast mir gegenüber benahm. Meine Absicht und meine Zielrichtung hießen dem Gast Höflichkeit und Wertschätzung entgegenzubringen, also gingen meine Gedanken genau in diese Richtung, leider zeigte sich so mancher Gast von einer ganz anderen Seite und in meiner Wahrnehmung wurde ich mit einem unhöflichen, teilweise respektlosen Verhalten konfrontiert. Meine Wahrnehmung und mein innerlicher eigener Anspruch gingen hier sehr unterschiedliche Wege. Zu lächeln und sich beschimpfen zu lassen – auf Dauer sehr ungesund.

Meine wahren Gefühle, wie z. B. Ärger oder Wut, konnte und durfte ich weder zeigen, noch ausleben, das heißt – ich litt unter einer „emotionalen Dissonanz“.

Ich persönlich habe erst einen langen Weg zur bewussten Selbstwahrnehmung beschreiten müssen, um mit meinen real erlebten Vorgängen im Außen und meiner unterdrückten teilweise über die Jahre hinweg abtrainierten Gefühlswelt mit all meinen inneren Empfindungs- und Bewegungswahrnehmungen von der Dissonanz in die Harmonie zu gelangen.
Das heißt mir erst einmal meine Gefühlswelt wieder zu erschließen und die Gefühle, die ich im Körper fest eingemauert hatte zu spüren. Darum musste ich mir meine Wahrnehmungsbereiche im Hören, Sehen, Tasten, Riechen und Schmecken erweitern um die erhaltenen Informationen über mich und meine Umwelt gesund handelnd verarbeiten zu können.

Der Anfang war mir klar – mich kennenzulernen durch erkennen und somit mich zu erfahren, das ging nur, wenn ich mich in einem entspannten Zustand befand, nur in einem ruhigen Befinden konnte ich fühlen und spüren, was mit mir los war. Im Laufe der letzten Jahrzehnte habe ich vom Tanzen, Singen, Trommeln, vom autogenen Training bis hin zum Zazen (Sitzmeditation) fast alles ausprobiert, was auch nur annähernd mit körperlicher und geistiger „Entspannung“ zu tun hat.

Die Arbeit an der eigenen Person, um gesünder und glücklicher leben zu können, erfordert
•    Entspannung,
•    Konzentration und
•    einen begeisterten Willen hin zur Sensibilisierung der Sinne und der Wahrnehmung und das geht nur über Übung mit der dazugehörigen Disziplin und Kontinuität in der Ausführung.

Meine Lieben, auf jeden Fall führt es uns dazu, uns selbst wahrhaftig zuhören zu können, zu einem wirklichen miteinander kommunizieren, auf dass wir uns gesund auf Augenhöhe begegnen können, wodurch echtes miteinander handeln erst möglich wird und nicht nur so getan wird, als ob alles „lächelnd in Ordnung“ wäre, weil es sich ja sonst disharmonisch anfühlen würde. Dumm nur, dass wir uns da schon längst in der Dissonanz befinden, wenn wir nur so tun als ob…
Jeder für sich zieht sich seine Grenzen selbst und engt sich dadurch ein. Das was uns an Grenze schützen soll, sperrt uns auch gleichzeitig ein. Leider sind wir dadurch nicht in der Lage die Gesamtheit einer Situation und vor allem uns selbst weitsichtig und bewusst wahrzunehmen. Mich frei zu fühlen, heißt meine Ängste namentlich, spürend zu kennen und diese anzunehmen.
Auch meinen innerlichen als auch äußerlich empfundenen Druck muss ich mir erst einmal bewusst erlauben zu spüren, um diesem auflösend Raum zu geben.
Vertrauen zu spüren und zu fühlen, lässt mich erst Weite, Wärme, Nähe und Geborgenheit und auch emotionale Dissonanzen bewusst wahrnehmen.
Der Bezug zu unserem Körper und unseren Sinnen ermutigt uns zu einer gesünderen Selbstwahrnehmung.
Mein Körper ist das Gefäß meiner spürenden Gefühle, der Sitz meiner Seele; mein Körper lässt mich meine Gefühle spüren und meine gefühlten Sinne geben mir Sicherheit.

Fangt mit etwas Kleinem an wie z.B. Qigong oder Tai Chi und entwickelt euer Körpergefühl und Körperbewusstsein peu à peu, denn das fühlt sich dann aber so was von einem lustvollen, sich selbst zuhörenden, beweglichen und sich wahrhaftig sicherer fühlenden GUUUUT an.
Nicht nur Kinder, sondern gerade wir „Erwachsenen“ brauchen wieder Zeit um unter Mitnahme unseres Körpers Dinge zu berühren und diese dabei zu „begreifen“.

Der Dissonanz Anfang

Die unaufgelösten Dissonanzen im Verhältnis
von Charakter und Gesinnung der Eltern
klingen in dem Wesen des Kindes fort
und machen seine innere Leidensgeschichte aus.
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 – 1900), deutscher Philosoph und Schriftsteller

Dissonanz begleitet die Polarität des Lebens

Ohne Streit keine Versöhnung,
Ohne Liebe niemals Treue.
Ohne Not keine Erlösung,
Ohne Licht nur Dunkelheit.
Schuld verlangt nach Sühne,
Dissonanz nach Harmonie.
© Horst Reiner Menzel (*1938), Aphoristiker

Das neue IN-Wort: „polarisieren“
Hier die Enträtselung, warum vieles gegensätzliche – unvereinbar entgegengesetzt verbleibt.

Jede Dissonanz lässt sich auflösen
und jedes Ding hat seine nützliche und angenehme Seite.
Nur bleibt sie oft dem beschränkten Sinne verborgen. Heinrich Seidel (1842 – 1906), deutscher Ingenieur, ab 1880 lebte er als freier Schriftsteller in Berlin

 

Überhaupt kann jeder im vollkommensten Einklange nur mit sich selbst stehen;
nicht mit seinem Freunde, nicht mit seiner Geliebten;
denn die Unterschiede der Individualität und Stimmung
führen allemal eine, wenn auch geringe, Dissonanz herbei […].
Arthur Schopenhauer (1788 – 1860), deutscher Philosoph, Quelle: Schopenhauer »Aphorismen zur Lebensweisheit«, hg. v. Alfred Alexander Fiedler, Berlin: Wegweiser Verlag, 1924

Eine Entlarvung zum Verständnis

Warum neigt der Satiriker dazu, alles Spirituelle ins Lächerliche zu ziehen?
 – Dissonanz ist sein Brot, Einklang sein Tod!
© Andreas Tenzer (*1954), deutscher Philosoph und Pädagoge

Schlussendlich alles eine Frage dessen, was ich hören will

Meine Situation hier würden einige als eine verzweifelte ansehen;
ich behandle diese Dinge aber wie unser Sohn George.
Als er zur 1. Kompanie kam, schrieb er:
„Ich habe nun den Vorteil, der Musik am nächsten zu marschieren“,
eine Version, die er, als er einige Wochen später zur 4. und letzten Kompanie kam,
dahin abänderte: „Ich habe nun den Vorteil,

die Musik des unmittelbar folgenden Bataillons zu hören.“
Er hat ganz recht; es kommt immer nur darauf an,
wie und wo man auch marschiert,
man allerorten die Musik des Lebens hört.
Die meisten hören nur die Dissonanzen.
Theodor Fontane (1819 – 1898), deutscher Journalist, Erzähler und Theaterkritiker, Quelle: In einem Brief aus Neuruppin vom 23. September 1873

Ich wünsche euch
diese Woche viele Mußestunden
um eurer inneren Hörwelt auf die Spur zu kommen,
Katzenmusik kann auch solidarisch friedliebend klingen…
herzlichst eure Ute Weiss-Ding