Muss & Soll


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Das Wochentipp – Thema:
Muss & Soll
Beständigkeit durch Laufrichtungsänderung

„Ach“, sagte die Maus, die Welt wird enger mit jedem Tag.
Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte,
ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich
rechts und links in der Ferne Mauern sah,
aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu,
dass ich schon im letzten Zimmer bin,
und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.
„Du musst nur die Laufrichtung ändern“,
sagte die Katze und fraß sie.
Franz Kafka (1883 – 1924), deutschsprachiger Schriftsteller, in Prag geboren als Sohn einer bürgerlichen jüdischen Kaufmannsfamilie

Eine schöne Fabel wie ich finde, die auf eine beklemmende, ängstliche Sicht auf das „Leben“ anspielt und dass dies einen schlussendlich auch das „Leben“ kosten kann. Nebenbei möchte ich erwähnen, in der Fabel wäre ich lieber die Katze, die mir hier „ausgesprochen“ weitsichtiger vorkommt… ok, das Fressen der Maus liegt eben in der Natur der Katze … Miau

Ich gehe einfach mal davon aus, dass ihr wissen möchtet, wie ich auf „Fabel-hafte Weise“ zu so einem Wochentipp-Thema gekommen bin.

Ich beschäftige mich zurzeit mit meinem altbekannten Widerwillen gegen die Worte „muss“ und „soll“. Gleichwohl habe ich bei mir erkannt, dass ich immer mal wieder „ängstlich“ in den bestehenden Aussagen verhaftet bin, die oft von einem „du musst“ oder „du sollst“ begleitet werden.
Muss und soll ist für mich eh die gleiche Befehlsform.

Bedauerlicherweise wiederholen sich im Laufe unseres Lebens diese „muss und soll Wort-Muster“ Mantra-artig jahrein, jahraus und bleiben damit in unserem Gedächtnis gut verankert.

Leider kann die Maus, wie in der Fabel beschrieben, irgendwie die Zusammenhänge auf Grund ihrer körperlichen Größe durch mangelnde Weitsicht nicht so recht erfassen – wir aber als Menschen können unsere Sichtweisen perspektivisch sehr wohl erweitern und somit unsere Laufrichtungen ändern.
Ich persönlich halte Beständigkeit für einen erstrebenswerten Wert in meinem Leben, wenn ich z. B. an die Ehe oder ein Projekt, was mich begeistert denke.

Hierzu teilt schon ein altes deutsches Sprichwort mit:

Drei Dinge sind notwendig zu einem Geschäft:
zum Anfang Verstand und scharfer Blick,
zum Fortgang Vorsicht und Geschick,
zum Vollenden Beständigkeit und Glück.

Nur in dieser gemeinten Beständigkeit liegt sehr wohl, auch die Option die „Laufrichtung zu ändern“, wenn die Realität eine Änderung der Perspektive verlangt um die überholte Sichtweise zu verändern.

Der deutsche Philosoph Arthur Schoppenhauer trifft damit den Nagel auf den Kopf – mit:

Der Wechsel allein ist die Beständigkeit.

Ich habe für mich beschlossen, meine alte Taktik erneut gegen „ein zu viel an muss und soll“ in meinem Leben anzuwenden.
Das heißt einfach, leichtere Worte anstelle der schwerwiegenden einzusetzen wie z. B.:

  • Ich will mein Paket bei der Post abholen, klingt leichter, als ein ich soll.
  • Ich möchte meine Morgenseiten jeden Tag schreiben, kommt bei mir besser an, als ein „ich muss“.
  • Ich freue mich darauf mein neues Projekt vorzubereiten, fühlt sich leichter an, als ein „ich muss“.
  • Ich kann heute auch mal alle Fünfe gerade sein lassen, fühlt sich gelassener an, als ein „immer muss ich machen“.
  • Ich darf dies, jenes oder was auch immer machen, fühlt sich heiter und erlaubter an, als ein „soll oder muss tun“.

Meine Lieben, spielt wie eine Katze mit euren eigenen hausgemachten Befehlsformen statt „muss“ und „soll“.
Erlebt spürend dabei, wie die neuen leichteren Wortspielereien sehr wohl Beständigkeit mit einer neuen Laufrichtung in eurer Leben einbringen und das fühlt sich aber gleich nochmal doppelt so einfach, leicht getragen von einem gelasseneren GUUUUT an …

LebensKunst – die Kunst das Leben zu meistern
dazu eine wahrlich überzeugende Lebens-Rezeptur

Die größte Künstlerin ist das Leben

– nicht kontrollierbar
– nicht imitierbar
– nicht halt-bar

Jeder Versuch Kunst in Beständigkeit zu bannen scheitert.
Nur das Eintauchen der Seele in den eigenen Bezugsrahmen

zum Kunstobjekt lässt Kunst des Lebens wieder erwachen.
© Irina Rauthmann (*1958), deutsche Aphoristikerin und Lyrikerin

Was dem Leben Festigkeit, Beständigkeit,
Gelassenheit und Ruhe verleiht, das ist die Treue.
Sie hat viele Formen: Treue gegenüber Menschen,
Treue im Glauben, Treue in der Gesinnung,
in der Berufsausübung, in der Bewahrung geistiger Werte
und im Bezeugen derselben. […]
© Paul Schibler (*1930), Schweizer Aphoristiker, Quelle: »Texte in unserer Zeit«, 1995

Poesie in der Beständigkeit der Liebe

Mit Ihnen fühle ich, liebe ich, höre ich, sehe ich, liebkose ich;
ich habe eine Daseinsform, die ich jeder anderen vorziehe.
Sobald Sie mich in Ihre Arme nehmen, genieße ich ein Glück,
das durch nichts übertroffen werden kann.
Vor vier Jahren erschienen Sie mir schön,
heute finde ich Sie noch schöner.
Das ist der Zauber der Beständigkeit, der schwierigsten und seltensten unserer Tugenden.
Denis Diderot (1713 – 1784), französischer Philosoph der Aufklärung, Schriftsteller, Enzyklopädist, Literatur- und Kunsttheoretiker, Quelle: Brief an Sophie Volland, am 14. Oktober 1759

… wohl wahr

Um authentisch zu leben, bleibt es nicht aus,
bisweilen gegen die Laufrichtung der Masse zu gehen.
© Dieter Uecker (*1970)

„wir nehmen uns immer mit“
auch bei der Änderung von Laufrichtungen …

Wir können alles aus uns selbst heraus bilden,
und nichts von innerlicher Beständigkeit und Zufriedenheit
ist an eine äußere Stelle gebunden.
Novalis (1772 – 1801), deutscher Lyriker, eigentlich Georg Philipp Friedrich Leopold Freiherr von Hardenberg

… und Schlussendlich die Sterblichkeit im Sein

Die Vergänglichkeit
ist wahre Beständigkeit unserer Natur
© Erhard Horst Bellermann (*1937), deutscher Bauingenieur, Dichter und Aphoristiker – Quelle: »Gedankenreich«, Leipzig: Engelsdorfer Verlag, 2004

Ich wünsche euch euren beständigen Wechsel von Sichtweisen lustvoll bewusst zu genießen und dazu
von dem „ich muss, ich soll“ – zu einem „ich darf“ zu gelangen
herzlichst eure Ute Weiss-Ding