Zügellose Völlerei


43. Wochentipp – Thema
Einfach so – (zeitlos) so einfach
Eine „gierige und ver-Rück-te“ Sicht
auf die ausschweifende Völlerei

Odilon Redon

Odilon Redon

Völlerei vornehm ausgedrückt:
Wir enthalten uns der Entsagung.

© Dr. phil. Michael Richter (*1952), deutscher Zeithistoriker, Quelle: Richter, Wortschatz, Mitteldeutscher Verlag Halle 2007

Nachdem uns der Oktober mit seiner bunten, schillernden Farbenpracht jetzt verlässt, hin zu der Jahreszeit, welche uns die vom Herbst leergeputzten Bäume überlässt und mal nebelig, mal gräulich angehaucht daherkommt. Dazu kommt passend kurz vor Weihnachten ein gar köstlicher 43. Wochentipp mit dem Thema: Der das Maß fehlenden Völlerei.

Übersicht:
Dieser wenig erquickliche Wesenszug ist einer von den sieben Lastern der Menschheit.

Entstehung: Der ursprünglich vom Wüstenmönch Evagrios Pontikos um 390 aufgestellte Lasterkatalog mit acht Hauptsünden wurde von Papst Gregor dem Großen († 604) auf sieben fixiert, den sogenannten „Todsünden“.
Definition: Die Todsünden sind wissentliche und freiwillige Übertretungen des göttlichen Gesetzes in einer schweren Weise. 
Angelehnt an die sieben schlechtesten Charaktereigenschaften, die immer wieder variiert wurden, wurden die einzelnen „Sünden“ definiert:

  • Hochmut, Stolz –  Superbia
    (Stolz, Übermut, Überheblichkeit, Selbstgefälligkeit, Vermessenheit, Frevel, von sich selbst eingenommen, hier sind Egozentrik, Narzissmus, Arroganz und Blasiertheit mit im Bunde) https://berlinspirit.de/der-herbst-und-der-hochmut/
  • Wollust, Unkeuschheit – Luxuria
    (Genuss auslösender Reiz, Begehren, Genusssucht, Verlangen, Ausschweifung, Nebenabsichten in der Liebe)
    https://berlinspirit.de/wolluestige-wollust/
  • Geiz, Habsucht, Habgier – Avaritia
    (Enge, Gier, angstbesetzte Lebensverneinung, Gewinnsucht, Geldgier, Begierde, Wucher, ungestillter Hunger auf immer mehr)   https://berlinspirit.de/habgieriger-geiz/
  • Zorn Ira
    (Groll, Bitterkeit, Wut, Rachsucht) https://berlinspirit.de/der-zornige-zorn/
  • Völlerei, Unmäßigkeit – Gula
    (Maßlosigkeit, Selbstsucht, Gefräßigkeit)
  • Neid – Invidia
    (Eifersucht, Missgunst)
  • Faulheit, Trägkeit, Überdruss – Acedia
    (Trägheit des Herzens, Feigheit, Ignoranz)
Odilon Redon

Odilon Redon

Gula – die Völlerei: Hier geht es um Menschen – egal ob dick oder dünn – die nur Essen und Trinken im Sinn haben und ausschließlich damit beschäftigt sind.
Geht es hier tatsächlich nur um Speis und Trank oder ist dies etwas zu einseitig betrachtet?

Mit der Völlerei als Thema, tja, damit hält mich bereits meine eigene Lebens-Aufgabe auf Trab.  Irgendwie nervend ist das mit der Gier und dem Maßhalten, diese ewige Balance zwischen den Polen im Leben aufrecht zu erhalten.

Ohne Balance ist hier keine Einigung in Sicht. Der Geist scheint schwach, der Körper giert begierig und die  schreiende Seele bedient die suchende Sucht – fragt sich nur – nach was? Unbewusst läuft alles an einem vorbei und es scheint keine Chance zu geben eigene Interessen wahrzunehmen und die eigenen Bedürfnisse mit Namen zu benennen.
Machtlos ergibt sich das schwache menschliche Fleisch der begehrlichen Völlerei, ohne Wenn und Aber…

Mir fiel hierzu als erstes Sinnbild der französische Film „das große Fressen“ aber auch gleichzeitig „Twiggy“ ein. Auf dem ersten Blick sind Berührungspunkte nicht klar ersichtlich, aber als sinnbildliches Gleichnis haben sie innerlich bei mir etwas ausgelöst, was ich mit  einer  „verrückten“ Sicht auf Genuss, Überdruss, Vergänglichkeit und auch Dekadenz bezeichnen würde. In den unten folgenden Links könnt ihr mehr über den Film und Twiggy erfahren.

Wenn ich mir die Sünde der Völlerei und  auf der anderen Seite die Tugend der entsagungsvollen Zurückhaltung als zusammengehörige Kombination von Gegenpolen und dazu uns als menschelnde Menschen mittendrin betrachte, dann ist die Völlerei eine der „augenfälligsten und dabei gleichzeitig eine verschleierte Todsünde“ von den Sieben.  

Odilon Redon

Odilon Redon

Hier stehen wir in der Gegenwart als denkende Menschen und nichts aber auch gar nichts hat sich offenbar seit Jahrhunderten verändert, jedenfalls was die menschlichen „Gelüste und Emotionen“ angeht.

Und noch etwas ist da in meine kleinen grauen Zellen gehuscht, was löst die Völlerei als platte Essgier formuliert, demnach umhertreibend so stimmungsvoll in uns aus?
Wenn ich nur Essen im Sinn habe, so treibt mich persönlich die Gier nach etwas Süßen um. Also löst die Gier meine suchende Sucht nach etwas Süßen aus.
Und da wären wir schon bei noch mehr Gier: Sehnsüchtiges Begehren wird unerlöst zum gierigen Verlangen – die Gier als Sucht. Weiterhin unbeachtet bleiben hier die wahren Bedürfnisse auf der Strecke.
Essgier als Völlerei, das leuchtet mir ein und wie steht es folgend mit der Habgier, Geldgier, Machtgier, der Gier nach Anerkennung usw.
Nach meinem Verständnis dürfte das auch eine Art von Völlerei sein, denn auch hier wird ein Zuviel von was auch immer gierig begehrt.
Ich will haben, schreit es da tief innen in einem, ohne zu hinterfragen, was mein wahres Bedürfnis ist.

Ich will, ich will und noch einmal ich will, schonungslos von Anfang an der Gier folgend, ist hier der Anstoß zur suchenden Sucht nach „was auch immer“ gegeben.

Die früheren Kirchenväter sahen in einem Zuviel an Speisen und an den Getränken des Bacchus des Teufels leichtes Spiel, weil hier das schwache Fleisch über den Geist siegte, indem es sich der Schlemmerei ergab. Was für eine Todsünde diese Völlerei.

Odilon Redon

Odilon Redon

Herzlich willkommen in der Gegenwart und noch immer siegt das schwache Fleisch mit seiner gierigen Begierde über den Geist und den Verstand.

Schon die Römer hatten ca. 180 Jahre vor Christi Geburt mit der Völlerei ihrer Oberschicht so ihre Probleme und daher ein Gesetz gegen die Schlemmerei erlassen.
Dekadenz ist tatsächlich keine Erfindung der Neuzeit…

Gesundheit und Ernährung stehen bei uns im Hier und Jetzt hoch in Kurs, man kann sagen im Blickpunkt des öffentlichen Interesse, wenn man sich hierzu das neue „Körperbewusstsein“ anschaut.

Auf der einen Seite des Globus herrscht reiche Völlerei im Sinne von gieriger Überfütterung und das im wahrsten Sinne des Wortes.  Wir brauchen uns dazu nur die Massentierhaltungen und die Monokulturen der Landwirtschaft anzusehen, den Rest erledigen dann Überdüngung und Pestizide. Und auf der anderen Seite gibt es nur Armut und Hunger. Lecker das Thema Völlerei.
Ich muss aufpassen, dass ich bei lauter geistiger Völlerei nicht in Rage gerate.
Ich kann als Einzelne(r), eh nur durch mein bewusstes Einkaufen etwas für mich persönlich steuern, alles andere ist illusorisch.
ABER wenn viele, ganz viele Einzelne sich bewusster mit ihrem Einkauf auseinandersetzen und fragen: „Was ist das? Woher kommt es? Wie wurde es produziert?“, dann wird sich immer etwas bewegen. Wir müssen dann nur noch aufpassen: „Wo führt uns das hin?“…

Sind Veganer oder Vegetarier nun bessere Menschen, nur weil sie auf Produkte von Tieren verzichten?
Wohl kaum, denn auch hier ist die Völlerei voll im Gange…
Lebensmitteltechnisch können Öko-korrekte und kerngesunde Produkte mit problematischen Inhaltsstoffen angereichert sein. Also immer hübsch lesen, was sich sehr, sehr kleingedruckt auf der Rückseite zeigt und vor allem woher das gesunde Essen stammt. Übrigens ein Streitpunkt der Handelsabkommen TTIP oder CETA betrifft auch die Deklarationspflicht.

Odilon Redon

Odilon Redon

BIO – ist seit Jahren ein Reizthema bei mir, ja ich esse gerne gesund und ich will Transparenz und einen ehrlichen Handel. Ich habe oft das Gefühl, dass dies zu viel verlangt ist.
Meine Eltern haben mit Wild, Geflügel und Fisch gehandelt.
Mein Vater hatte vor vierzig Jahren schon die Überfischung der Meere vorausgesagt. Beim Verzehr von rohen Karotten hat er mir Vorträge über verseuchtes Grundwasser durch Pestizide gehalten.
Die Sucht nach gesunden Bio-Waren ist immens, nur fragt euch doch einmal wo die ganzen gesunden Biolebensmittel herkommen sollen.

Biofelder direkt an der Autobahn, wilde Mülldeponien, die das Grundwasser verseuchen, in Italien die Müllentsorgung in den Händen der Mafia, Grundwasserverseuchung in Baden-Württemberg durch Giftstoffe in Düngemitteln, kein Verbot von Fracking in Deutschland. Wenn Wasserbetriebe privatisiert werden, wird erst mal an der Instandhaltung gespart, so dass Abwasser ins Grundwasser gelangen kann etc. Beispiele dafür gibt es weltweit bis Berlin.
Ihr meint ich soll aufhören zu meckern und sagen wie es denn besser gehen solle?
Ich weiß es nicht, nur eins weiß ich, dass Firmen wie Bayer/Monsanto und Konsorten die un-heimlichen Lieferanten unserer Gier sind. Also ist es am besten bei uns selbst anzufangen und zum Beispiel „Fertigessen“ wegzulassen.

Große Flächen von Regenwäldern weichen in Brasilien, durch Rodung für Rinderweiden und Soja-Felder, sowie in Indonesien durch Brandrodung für den Anbau von Palmöl. Soja wird für die Massentierhaltung angebaut und als Kraftfutter verwendet, genmanipuliert versteht sich, für bessere Erträge.
Nächste Frage, was landet davon bei uns in welchen Produkten?
Eine bessere Klimabilanz als Soja aus Brasilien hat Soja aus Europa, also wieder einmal aufpassen und das Herkunftsland hinterfragen.
Wenn ich jetzt unsachlich werde, liegt es daran, das ich persönlich kaum noch etwas glaube, was mir Hersteller erzählen, sei es nun Bio oder konventionelle Lebensmittel betreffend. Es wird überall etwas weg gelassen oder Etikettenschwindel mit rosigen Worten betrieben. Margarine oder Nugatcreme sind ja so gut und lecker durch das vielleicht sogar zertifizierte Palmöl, was interessieren da schon die letzten Orang-Utans. Der größte Etikettenschwindel wird allerdings mit den Biotreibstoffen wie E10 getrieben, denn diese liefern sich z. B. einen Verdrängungswettbewerb mit den Lebensmittelanbauflächen in Südamerika, ob zertifiziert oder nicht.

Völlerei die suchende Sucht nach immer mehr gierigem Profit und dazu der Völlerei ergebene Menschen.
Völlerei ist mehr als nur Dickleibigkeit, es ist die Folge des Verfehlens des rechten Maßes nicht nur bei Speis und Trank!
Was die Völlerei der Essgier betrifft, der Mensch braucht Nahrung um seine Gesundheit und seine Produktivkraft zu erhalten. Ein gesundes, persönliches Ernährungskonzept darf jeder für sich alleine maßregelnd entscheiden.

Odilon Redon

Odilon Redon

Meine Lieben, genug der Völlerei. Was haltet ihr von Verzicht und Entsagung?
Ich überlege gerade so für mich, auf was ich denn so verzichten könnte, nicht nur beim Essen, sondern auch beim alltäglichen Leben, auf das, was sich überflüssig anfühlt.
Das, was sich im Zeitenverlauf in Gewohnheiten hin gewandelt hat, aber eigentlich neu überprüft gehört.
Vielleicht ist es gar nicht so schwer dem einen oder anderen Objekt der Begierde zu entsagen, zum Beispiel, wenn ich den Schlüssel meines Mitgefühls benutze und das Verstandes-Tor zu meinen bewussten Überlegungen hin öffne und mich anschließend maßhaltend damit auseinandersetze?
Gleichzeitig schleichen in meine Gedankenwelt Worte wie Bescheidenheit, Selbstdisziplin, Zügelung, Abstinenz, also völliger Verzicht auf etwas und vor allem Genuss.
Ich persönlich finde es ganz reizvoll mich bilanzierend mit meiner eigenen Völlerei, in welcher Hinsicht auch immer, naturellement maßvoll und bewusst noch weiterführend genüsslich auseinanderzusetzen. 
Eurer persönlichen Sicht auf die eigene Völlerei auf die Spur zu kommen, ohne ein Fressgelage versteht sich, das wird sich sicherlich sowas von einem erhellenden, lebendigen, lustvollen und genussvollen GUUUUT in eurem Leben anfühlen.
Elegantes Maßhalten kann den genüsslichen Genuss auf Dauer fabelhaft steigern.

Odilon Redon

Odilon Redon

Anfang:
Treibstoff Gier

Während das Tier die Lust sucht, um sich zu erhalten,
erhalten wir Hedonisten das Leben um der Lust und Völlerei willen
und gefährden so nicht selten unsere Selbsterhaltung.
© Anselm Vogt (*1950), deutscher Gymnasiallehrer, Essayist, Kabarettist, Jazzmusiker und Aphoristiker, Quelle: »Leitkultur? Kultur Light!«, Aphoristisches Wörterbuch zur Kulturkritik, © 2007 Universitätsverlag Dr. N. Brockmeyer

Abschließend

Diese Mitteilung aus 2010 fand ich ganz spannend – zu der Zeit war Benedikt XVI. (Ratzinger) noch emeritierter Papst und der katholischen Kirche liefen ihre Schäfchen davon… ich hatte irgendwo  gelesen, dass angeblich 60 % der Katholiken nicht mehr zur Beichte gehen …
Leider habe ich hierzu nichts weiterführendes gefunden, aber man weiß ja nie, denn der neue Papst Franziskus (ab 2013) scheint ja recht aufgeschlossen zu sein…

Hier die Mitteilung:
Die katholische Kirche geht mit der Zeit und dem Geist der Globalisierung. So erklärte dieser Tage Bischof Gianfranco Girotti, der im Vatikan als Spezialist für Beichte gilt, die Kirche wolle die sieben Todsünden überarbeiten und der modernen Gesellschaft anpassen. Bei einer Konferenz im Vatikan stellte Girotti die neue Liste der modernen Todsünden vor.

Quelle:   vom 23.2.2010         http://news.de.msn.com/bilder.aspx?cp-documentid=150973620

  • Missbrauch von Kindern und Jugendlichen – Hochmut
  • andere aus Profitgier in die Armut treiben – Neid
  • Geldverschwendung für Luxusartikel – Geiz oder Habsucht
  • Drogenhandel und Drogenkonsum – Trägheit
  • Prostitution – Unkeuschheit
  • Genmanipulation – Völlerei
  • Umweltverschmutzung – Zorn
Odilon Redon

Odilon Redon

  1. Hochmut
    -Beziehungsloser, eingebildeter, überheblicher Egoist
    -Geringschätzung anderer Menschen
  1. Neid
    -Feindselige Missgunst
    -Ständige Angst zu kurz zu kommen
  1. Geiz oder Habsucht
    -Egoistisches Besitzstreben
    -Verkrampftes Festhalten an materiellen Dingen
  1. Trägheit
    -Faulheit und Indifferentismus
    -Keine Eigenverantwortung und –initiative
  1. Unkeuschheit
    -Degradierung des Partners zum Lustobjekt
    -Egozentrische Triebauslebung
  1. Völlerei
    -Maßloses Verlangen bzw. Sucht nach Mehr, Maßlosigkeit
    -kein Blick für das Wesentliche
  1. Zorn
    -Kontrollverlust
    -Vom Willen zur Zerstörung geleitet

Der Mensch „stirbt“ an Beziehungslosigkeit und Entfremdung von Gott, von sich selbst und von den Mitmenschen
Zerrissenes ICH
Verrat an der Gottebenbildlichkeit und Würde des Menschen

Odilon Redon

Odilon Redon

Ich wünsche euch, dass wahrhaft Nährende,
welches ihr als bewusstes Bedürfnis
aus euch selbst heraus aufrichtig wahrnehmt, um es
genuss- und maßvoll spürend in eurem Leben genießen zu können
herzlichst eure Ute Weiss-Ding

Bilder: Odilon Redon 1840-1916, war ein französischer Grafiker und Maler des Post-Impressionismus, Symbolismus. Das Werk des Künstlers gliedert sich in eine frühe schwarze und eine farbige Phase.

Quellen: Frauen – Gesundheit – Soziale Lage, Hilde Wolf, ISBN-13: 978-3708905426

Duden; Wikipedia,

http://www.erzdioezese-wien.at/hauptsuenden-oder-die-7-todsuenden

Das große Fressen:

http://www.dieterwunderlich.de/Ferreri_grosse_fressen.htm

Twiggy:

http://www.sueddeutsche.de/leben/die-unverwechselbaren-twiggy-und-es-kam-eine-grosse-duerre-1.584058

 Artikel: GEO Heft – Worauf du beim Kauf von vegetarischer Wurst achten solltest,
Autor Peter Carstens, 29.09.2016, GEO hat auf seiner Seite immer aktuelle Themen.
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