Scham & Schamgefühle


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Das Wochentipp – Thema:
Scham & Schamgefühle

Der Mensch sollt nicht ohne Scham sein.
Scham über schamloses Betragen ist der sichere Weg,
Beschämendem zu entgehen.
Mong Dsi (372 – 289 v. Chr.), konfuzianischer Philosoph

Einfach so – so einfach folgt dieser Wochentipp, der Scham gehuldigt, mal geschwind dem Wochentipp von der Schuld …

Für mich persönlich gehört Scham zu meinem Werte-Inventar, denn meine Schamgefühle schützen die Grenzen meiner Intimität und die der anderen. Ich möchte nicht, dass andere Menschen mich in meinem persönlichen Bereich der Vertrautheit verletzen können, also sorge ich dafür, dass diese sehr starke, auch „errötende“ und persönliche Gefühlsregung bei mir ihren Platz behalten darf, wo sie mir nützlich erscheint.
Auch wenn sie sich wie eine unangenehme Aufwallung anfühlt, hiermit kann sie mir sehr deutlich aufzeigen, wenn mir jemand zu nahe kommt oder ich jemandem zu nahe trete…

Zum Beispiel gibt es bei mir und meinem Mann das stillschweigende Einvernehmen über das „Postgeheimnis“, weder private E-Mail noch Post wird von uns gelesen, außer mit jeweiligem Einverständnis, weil wir unseren persönlichen Bereich nicht verletzt wissen möchten.

Unabsichtlich hatte ich mir den Fauxpas des Hinauffallens einer Treppe in Folge von Stolpern bei einer Veranstaltung mit vielen Menschen geleistet. Mir war das unangenehm und es hat mich in meinem tiefsten Innern schamhaft getroffen.
Am liebsten wäre ich unsichtbar geworden, dumm nur, dass ich stattdessen eine herrlich errötende Gesichtsfarbe zur Schau stellte und meiner Außenwelt meine sichtbar gemachte Scham somit auch noch zeigte. Peinlich, kann ich nur sagen! Gleichzeitig wusste ich im Nachhinein, dass es meine eigene Wertung war, welche mich in dieser Situation so beschämt hat fühlen lassen. Die  Akzeptanz dessen, was geschehen ist, ist die Chance für mich den Ausrutscher humorvoll zu betrachten und anzunehmen… Dann ist alles wieder Schamfrei…

Weiterhin schaue ich mir keine Casting-Show mehr an, nicht nur weil ich diese inzwischen für volksverblödend halte, sondern weil ich bemerkt hatte, dass ich mich für viele der Kandidaten schämte.
Also unterliege ich offensichtlich der sogenannten Fremdscham, bei der ich mich einfach für den anderen schäme.
Laut Studien soll Fremdschämen sogar wehtun. Nun, dazu hatte ich es und lasse ich es offensichtlich gar nicht erst kommen.
Ich gehöre zu der Sorte Menschen die ein starkes Einfühlungsvermögen und Empathie besitzt und damit für das Fremdschämen anfälliger ist. Alle anderen haben da offenbar eine niedrige Schamgrenze.
In  vielen TV-Shows offenbaren Menschen Dinge, die für mich einfach anstößig sind. Im Internet werden die vertraulichsten Geheimnisse ausgeplaudert und erkennbar zeigt sich hier, dass die gesunde Schamschwelle, die die Intimsphäre eines jeden schützt, sich im Sinkflug befindet.
Die Grenzen unserer Intimsphäre weichen sich hier wertemäßig auf.

Irgendwie scheint sich hier etwas zu verschieben, denn im Gegenzug gibt es viele Menschen, die sich schämen, weil sie glauben den Anforderungen unserer Zeit nicht zu genügen.
Wer sich so schämt, kann schnell aus Angst in einen Wahn von Perfektionismus verfallen. Sich zu schämen, weil man glaubt als Mutter nicht zu genügen, dem gängigen Schönheitsideal nicht zu genügen usw. – kann schnell darauf mit Angststörungen und Aggressivität gepaart mit Schuldgefühlen bis hin zu Süchten reagieren ohne sich dessen bewusst zu sein, dass die Scham dahinter lauert, weil ich meinen eigenen Anspruch nicht erfülle.

Ein Baby kennt keine Schamgefühle, erst ein Kleinkind ab ca. zwei Jahren entwickelt mit zunehmender Bewusstwerdung seiner Wesenheit die Fähigkeit sich zu schämen.
Ach ja, dieses sich einer Gemeinschaft zugehörig zu fühlen, treibt so manche Stilblüte in unser Volksgemeinschaft. Unsere Gesellschaft hat ihre Normen und da wir Menschen soziale Wesen sind, wollen wir uns dieser Gemeinschaft zugehörig fühlen.
Wenn da nur nicht die Sache wäre mit dem, was man gerne nach außen hin darstellen würde und dem wie man zurzeit wirklich ist.
Zum Beispiel: Mein Selbstbild weiß, dass ich zum Stolpern neige, aber im Außen möchte ich gerne vollendet erscheinen.
Upps, kein Wunder, wenn da ein Konflikt herrscht zwischen meinem Sein als Selbstbild auf der einen Seite und meinem Anspruch „vollendet dazu zu gehören“ und lustig, wenn dabei das Schamgefühl bei mir Einzug hält.  
Ich habe schnell gemerkt, dass Schamgefühle auch mein Verhalten stark beeinflussen. Da hilft nur eines, sich seinen Schamgefühlen bewusst zu stellen und diese zu hinterfragen.
Mein Selbstbild hat sich im Laufe der Jahre immer weiter entwickelnd verändert und hat mich gelehrt, dass ich mir selbst genügen muss und nicht den anderen Menschen.
Manche Schamgefühle sind geblieben und andere haben sich verabschiedet. Mein Sein im Selbstbild bleibt heute selten hinter meinen tatsächlichen Ansprüchen zurück und es ist mir heute wichtiger über mich selbst unabhängig zu bestimmen, als mich irgendeiner Gemeinschaft selbstverleugnend zugehörig zu fühlen.

Fast jeder kennt Charlie Chaplins Film „der große Diktator“ und die Szene in der Anton Hinkel in seinem Büro Benzino Napoloni trifft. Ein riesiger Raum ausgestattet mit einem übergroßen Schreibtisch und davor der Besucher-Stuhl für Benzino Napoloni, welcher gekürzte Stuhlbeine hatte und zur Erniedrigung Napolonis dienen sollte.
Diese ganze zur Schaustellung der „Macht Hinkels“ sollte Napoloni so beeindrucken, dass er sich minderwertig fühle.
Ok, im Film hat das nicht so richtig funktioniert – nur im realen Leben wird gerne in vielen Bereichen auf diese Art von Machtdemonstration zurückgegriffen und so beschleicht den anderen ein unbehagliches Minderwertigkeitsgefühl.
Dumm nur, dass diese Minderwertigkeitsgefühle nichts anderes darstellen als sich versteckende Schamgefühle. Also immer schön hinschauen, wenn die selbst ernannten  „Mächtigeren“, sich mit was auch immer in Szene setzen wollen, um uns das Gefühl von Bedeutungslosigkeit vermitteln zu wollen.

Meine Lieben, eigentlich möchten wir alle unsere als unangenehm empfundenen Schamgefühle vermeiden.
Hierzu sollten wir uns bewusst vor Augen führen, dass wir eben doch anders sind, als wir nach außen hin erscheinen möchten und unsere Schamgefühle statt sie zu vermeiden annehmend durchleben dürfen.
Scham ist für mich ein prima Gradmesser und erlaubt mir mich so anzunehmen wie ich bin, auch wenn ich gerne anders wäre.
Wenn ich ehrlich bin, habe ich eine klare Haltung zu meiner empfundenen Scham und zwar dann, wenn die Grenzen des von mir empfundenen guten Geschmacks überschritten werden, solche die ich einfach respektiert wissen möchte.
Wie in allem im Leben gilt es auch hier die Balance zu wahren zwischen dem Verhältnis von dem, wo ich schon vom Selbstbild her schamfrei bin und dem, wo mich die im Außen dargebotene Schamlosigkeit berührt.
Belastende Schamgefühle verschwinden, wenn ich mir erlaube diese vollständig wahrnehmend anzunehmen.
Lasst uns einfach unbefangen authentisch sein, uns zu zeigen wie wir sind, zu sein, wie wir sind und legen wir doch lieber mehr Wert auf die Arbeit an uns und auf die Steigerung unseres gesunden Selbstwertgefühls, denn das fühlt sich dann so was von einem mal schamfreien, mal Scham fühlenden, lebendigen, lustvollen, freien GUUUUT an.

Vorhang auf – der Beginn

Liebe, Kunst und Religion
hüllen sich gern in das Gewand der Scham.
Johann Jakob Mohr (1824 – 1886), deutscher Epigrammatiker, Dramatiker, Aphoristiker, Quelle: »Gedanken über Leben und Kunst«, von Mahlau & Waldschmidt, Frankfurt a.M. 1879

 

denn

 

Die Scham wächst mit der Erkenntnis des Bösen.
Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778), Genfer Philosoph, Aufklärer, Schriftsteller

 

dahin sollte es führen

 

Scham hindert Schande.
Deutsches Sprichwort

 

und dahin führte es wirklich

 

Scham ist nur die Angst vor der eigenen Unvollkommenheit.
© Siegfried Rieger (*1960), alias »SIR«, deutscher Sozialpädagoge und Aphoristker

Das Bühnenstück

Die Scham wird dann peinlich, wenn man sie ablegen will.
© Emil Baschnonga (*1941), Schweizer Schriftsteller und Aphoristiker

Das Drama

Furcht und Hoffnung tut bei den verderbten Menschen allezeit mehr als Scham und Ehrliebe.
Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781), deutscher Schriftsteller, Philosoph der Aufklärung, Quelle: »Beschluß der Kritik über ›Die Gefangenen« des Plautus

Der Vorhang fällt – das Ableben der Scham

Im Kampf zwischen der Scham und dem Eros,
geht immer Eros als Sieger hervor.
Henri Stendhal (1783 – 1842), franz. Schriftsteller

Applaus –
das Ende mit einer weitreichenden Erkenntnis

Da ich nicht stolz sein konnte,
bin ich demütig geworden,
um mir die Scham zu ersparen,
niederträchtig zu werden.
Johann Nepomuk Nestroy (1801 – 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

Ich wünsche euch – eure euch ereilenden
schamhaft errötenden Momente
bewusst zu genießen
herzlichst eure Ute Weiss-Ding