Die Trägheit und die Faulheit


46. Wochentipp – Thema
Einfach so – (zeitlos) so einfach

Der Gewissheit folgend, dass bei den meisten Menschen
ein bisschen Trägheit hier, ein bisschen Faulheit da,
aus dem ganzen bisschen
einen wohlgelungenen Biss Namens Gewissensbiss macht.

Akseli Gallen-Kallela

Akseli Gallen-Kallela

Faulheit ist Hang zur Ruhe ohne vorhergehende Arbeit;
sie ist mit Trägheit einerlei,
und erzeugt den Müßiggang, der die Quelle aller Laster ist.

Georg Victor Keller (1760 – 1827), deutscher Benediktiner, Priester und Hochschullehrer,
Quelle: Keller, G. V., Georg Viktor Kellers Nachlass.
Eine Reihe moralischer, wissenschaftlicher Aufsätze mit beigefügter Biographie (Erster Band), J. Barbisch (Hrsg.), Freiburg 1830

Nun folgt die letzte der sieben Todsünden und diese will uns daran erinnern, dass die eigene Trägheit bzw. Faulheit in unserem persönlichen Lebens-Zeitfenster von Zeitverlust getragen, uns mit Traurigkeit, gefolgt von Reue und Schmerz beglücken könnte.
Den irritierenden Fallstricken des Teufels voll der Trägheit und Faulheit, können wir laut Evagrios Pontikos durch eine kurze uns behagende Handlung entrinnen. Dazu sind alle schnell zu vollendenden Ausführungen, egal welcher Art, geeignet. Siehe zum Beispiel Stoßgebete oder mal schnell den Schreibtisch aufräumen.

Übersicht:
Dieser wenig erquickliche Wesenszug ist einer von den sieben Lastern der Menschheit.

Entstehung: Der ursprünglich vom Wüstenmönch Evagrios Pontikos um 390 aufgestellte Lasterkatalog mit acht Hauptsünden wurde von Papst Gregor dem Großen († 604) auf sieben fixiert, den sogenannten „Todsünden“.
Definition: Die Todsünden sind wissentliche und freiwillige Übertretungen des göttlichen Gesetzes in einer schweren Weise. 
Angelehnt an die sieben schlechtesten Charaktereigenschaften, die immer wieder variiert wurden, wurden die einzelnen „Sünden“ definiert:

Akseli Gallen-Kallela

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Des Menschen ärgster Feind, der ihn erschlaffen lässt, ist anfangs die Trägheit und darauf folgend die Faulheit mit  Namen. Dazu ist dem Menschen ein starker Freund und der Faulheit ein mächtiger Gegenspieler gegeben. Es ist die Energie, die in der sinnvollen Arbeit enthalten ist und dem menschelnden Erdenbewohner neue Kraft gibt. Dazu helfen Regeln und Rituale auf wunderbare Weise den Tag zu strukturieren.

Wieso wurde Faulheit überhaupt als eine der sieben Hauptlaster deklariert?

In den Mönchsklöstern gab es Zeit zur Genüge und sehr, sehr lang waren die Zeitspannen, die ein Mönch mit sich alleine „grübelnd sinnend“ in seiner Zelle verbrachte. Dieses gebar eine trübsinnige Trägheit. Aus dem „Zu viel Zeit zu haben“ entsprang als Mönchslaster die Trägheit.
„Mittagsdämon“ nannte man diesen, aus dem inneren geistigen Ödland hervor gekrochenen, sich wabernd breitmachenden Zustand.

Im  Altertum glaubten die Menschen, dass die Geister und Götter um zu erscheinen die Mittagsstunden bevorzugten. Im 4. Jhdt. n. Chr. setzte der Mönch Evagrios Pontikos die Sorglosigkeit, Nachlässigkeit, Faulheit durch Nichts machen wollen diesem Mittagsdämon gleich. Dem konnte keiner entkommen.
Ein Widersacher, ein wirksamer Feind, dieser Mittagsdämon, der den Menschen von innen heraus auszehrt. Kreiselnde, vor sich hin brütende Gedanken ohne Ziel und Verstand, Trübsinnige, bewegende Trägheit Stillstand ohne Hoffnung auf Fortentwicklung – Abhilfe konnte hier nur ein organisierter Tag mit Arbeit schaffen.

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Fleiß und Faulheit:
Es ist irgendwie ganz einfach und wiederum kompliziert zu verstehen, wie sich hier eine bis heute vorherrschende moralische Denkweise hat entwickeln können, welche die Faulheit immer noch verteufelt.

Eigentlich ist es ganz einfach, denn wer arbeitet, der sündigt nicht.
So ein arbeitsames Leben muss dem lieben Gott doch gefallen und den Machtausübenden erst recht.

Forciert von der Kirche und den Herrschenden, himmlisch vorantreibend, der Menschheit ins Ohr und Gewissen souffliert, dass du nur schön schaffen musst, um der sündigen Sünde, dieser dämonischen Faulheit, zu entweichen.

Schuld und Depression:
Wer hart arbeitet, der schafft „Besitz“  im Leben – so die gängige Meinung.

Ort der Verdammnis, die stinkende Faulheit, denn wer nichts schafft – bleibt arm, welch eine Qual.
Komisch, dann sind also nur die gottgefällig Arbeitssamen die Auserwählten, welche sich Besitztümer, in welcher Form auch immer, sich „redlich“ hart erarbeitet haben, ODER?
Autsch, eine eiskalte These, denn der schuftende menschelnde Durchschnittsmensch ist dann wohl selbst schuld daran, dass er keinen reichen „Besitz“ erarbeitet hat und in der heutigen Zeit von einem Job zum nächsten hoppelt.
Was ist mit denjenigen, welche mit weniger Geistes- und Schaffenskraft gesegnet sind?
Die werden dann demnächst von fleißigen, mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten, Robotern ersetzt. 
Heute alles gut – morgen bereits alles passé und schon kann einen da flugs eisig eine Depression ereilen.
Niedergeschlagenheit, Kummer, Hoffnungslosigkeit lassen einen Menschen in die Trägheit der Mutlosigkeit abgleiten.

Traurig ist die Melancholie des Widerwillens, welcher aus dem Überdruss, der Abneigung, dem Ekel heraus auftaucht, wo doch die hochgepriesene sorgende Mühe und die formvollendenden Anstrengungen angesagt wären.

Akseli Gallen-Kallela

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Zeitgeist:
Gewohnheitsmäßige Denkfaulheit hinterlässt überall seine Spuren. Sich selbst zu unterfordern, sich lieber bewegte Bilder anschauen statt selber zu lesen – dieses selbstgefällige Geschehen-Lassen, indem man andere denken lässt, statt selber zu denken, vor allem nachzudenken, das sind die Stilblüten der trägen Faulheit in der Neuzeit. Da ist Arbeit an und mit sich selbst offensichtlich zu anstrengend.
Gleichgültigkeit ist hier entstanden aus einer Haltung der bequemen fiktiven Ich-Neutralität heraus, sich feige verhalten, aber besorgt zeigen, pomadig träge. Interessenlos dümpelt hier die versagende Verantwortung für das Allgemeinwohl vor sich hin, wohlig verpackt im Namen des „Sich bloß nicht Einmischens“.  

Gefühlte oder gespielte menschliche Überlastung?
Oder einfach nur Verantwortungslosigkeit?

Krankheit:
Das ist doch alles krank, diese krankmachende Polarität ist immer schön im Schwarz-Weiß-Denken mit im Bunde. Grauabstufungen – gibt es nicht mit solch einer Sichtweise.
Eine ausgewogene Balance zwischen Arbeit (wenn vorhanden) und Freizeit zu finden, ist in der heutigen Zeit die Aufgabe der Menschheit.

Muße, diese gesunde Beschaulichkeit in einem Menschenleben, hat nichts mit dem Mittagsdämon gemein.
Die „Trägheit des Herzens“, die Faulheit im allgemeinem, hat ja auch eine Schutzfunktion. So kann sie uns vor der Überarbeitung durch einen krankmachenden Kräfteverschleiß schützen.

Akseli Gallen-Kallela

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Nachdenkens-Wert:

Alfred Adler (1870-1937) hat in einer seiner Schriften der „Menschenkenntnis Psychologie (1927)“ folgende These aufstellt:
Originaltext übernommen:
Das z. b. die Faulheit einem Kind nicht angeboren ist, sondern es ist faul, weil ihm diese Eigenschaft als ein geeignetes Mittel erscheint, sich das Leben zu erleichtern und dabei doch seine Geltung zu behaupten.
Denn die Machtstellung eines Menschen ist auch dann — in einem gewissen Sinn — vorhanden, wenn er sich auf der Linie der Faulheit bewegt.
Er kann sich stets auf sie als einen angeborenen Fehler berufen und sein innerer Wert erscheint dann unangetastet. Das Endergebnis einer solchen Selbstbetrachtung ist immer ungefähr die: »Wenn ich diesen Fehler nicht hätte, würden sich meine Fähigkeiten glänzend entfalten können; ich habe aber leider diesen Fehler. «
Ein anderer, der in einem unbändigen Streben nach Macht mit seiner Umgebung in einen ständigen Kampf verwickelt ist, wird Charakterzüge entwickeln, die für einen solchen Kampf notwendig erscheinen, etwa Ehrgeiz, Neid, Misstrauen u. dgl.
Solche Erscheinungen glauben wir mit einer Persönlichkeit verschmolzen, angeboren und unabänderlich, während es sich bei einer näheren Betrachtung ergibt, dass sie nur für die Bewegungslinie des Menschen als notwendig erscheinen und daher angenommen werden. Sie sind nicht der primäre Faktor, sondern der sekundäre, durch das geheime Ziel des
Menschen erzwungen, daher teleologisch (zweck-oder zielgerichtet) zu betrachten.

Akseli Gallen-Kallela

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Mein mich liebender Ehegemahl liebt die Bewohner von Entenhausen und schon durfte ich mit ihm das dazu gehörige Museum für Comic und Sprachkunst besuchen. (Adresse s. u.)
Bemerkenswert befand ich dort die Figur des Gustav Gans – den Glückpilz, der wohlig, vergnüglich seinen bösartigen Wesenszug gegenüber Donald in Form von Herabsetzung auslebt. Diese höchst menschelnde Wesensart hat mich nachdenklich werden lassen.
Dieses Wesensmerkmal wohnt gemütlich verpackt, wohl in jedem von uns, auch wenn es manchmal nur in „der Tat“ nach veralbern ausschaut.
Er ist halt ein nichts tuender Faulpelz und Lebenskünstler par exzellente.
Sein Motto lautet: „Das Glück liegt auf der Straße, man braucht es nur aufzuheben!“
Seine Devise lautet: „Der Pilz des Glückes wartet fein – es können Dinge sich begeben, die ihn der Arbeit ganz entheben!“
Also sein Lebensmotto finde ich schon toll.

Seine Lebensdevise kommt etwas verwirrend daher. Aber wahrscheinlich macht er einfach nur das, was er liebt und dann ist es ganz leicht im Leben, auch mit der Arbeit.

Die träge Faulheit hat so viele schillernde Gesichter und so zeigen sich diese wohlfeil
in den umtriebigen Wesenszügen der sechs „Töchter der Acedia“ nach Gregorius bei dem Kirchenlehrer Thomas von Aquin beschrieben:

Malitia – die Bosheit
Rancor  – der Groll, die Auflehnung
Pusillanimitas – die Kleinmütigkeit
Desperatio – die Verzweiflung
Torpor circa præcepta – die stumpfe Gleichgültigkeit gegenüber den Geboten bzw. Vorschriften
Vagatio mentis circa illicita – das Schweifen des Geistes in Richtung des
Unerlaubten

Akseli Gallen-Kallela

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Meine Lieben, Faulheit als Begrifflichkeit war bei mir nie negativ besetzt.
Einer meiner Wahlsprüche: „Faulheit denkt und lenkt.“

Faulheit war der Ansporn sehr vieler bedeutender Erfindungen. Nicht zuletzt bei der Dampfmaschine, wo ein Junge, der die Ventile bedienen sollte, diese einfach mit einem Stock mit der Kolbenstange verband.
Ich liebe meine Faulheit und ich bin gleichzeitig ein durch und durch fleißiger Mensch.
Widersprüchlich meint ihr?
Nein, durchaus nicht. Ich liebe es nachzudenken, Verantwortung zu übernehmen und gleichzeitig weiß ich spürend, wann ich mir Pausen der Ruhe, der Muße zur Erfrischung meines Körpers und Geistes zu bewilligen habe.

Ich habe mir zeitlebens beharrlich Zeit zum Nachdenken erlaubt. Wohlig liebte und liebe ich es, überlegend meine nächsten Schritte für meine Handlungen, Arbeitsweisen und Entscheidungen festzulegen.
Motiviertes Handeln ist einfach nur erfreulich.

Ich hasse doppelte Handgriffe, unmotiviertes Handeln und die dadurch entstehende unnütze Zeitverschwendung.
Das sieht von außen her betrachtet nach faulem Abhängen aus.
Aber, mal ehrlich, was bringt einem eine überforderte Überaktivität?
Das bringt garnichts, denn hier wird sehr schnell der Mittagsdämon mit Resignation und Freudlosigkeit zur Stelle sein und darauf folgend die träge Faulheit.
Selbstaufgabe – nein danke.

Sich nur über Leistung zu definieren bringt Verdruss und trübselige Beschwerlichkeit.
Ich leiste – also bin ich. Dieses sich über Leistung zu erklären und zu identifizieren.
Ich weiß wovon ich hier schreibe und nur die Auseinandersetzung mit sich selbst, dieses „Sich selbst kennenlernen“, kann einen davon abhalten verantwortungslos in die bodenlose, träge, sumpfige, vor allem selbstzerstörerische Faulheit abzurutschen. 

Erlaubt es euch, euch nachdenkend mit dem was euch umgibt auseinander zu setzen. Setzt eure Lebenszeit wohltuend für euch persönlich ein. Hier bekommt das Wort und die belebte Faulheit eine ganz andere Gewichtung.
Differenzieren ist hier der Zauberschlüssel.
Was nährt mich und was lässt mich wann, mit was erschlaffen?
Sich Fragen zu stellen und somit Ver-Antwort-ung zu übernehmen, das fühlt sich in unserem Leben dann aber auf Dauer, so was von einem beschwingten, lebendigen, leichten und lustvollen GUUUUT an.

Akseli Gallen-Kallela

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Abschließendes:
Nachdenkenswerte Worte von meinem Liebling Friedrich Nietzsche

Jener Reisende, der viel Länder und Völker und mehrere Erdteile gesehen hatte und gefragt wurde, welche Eigenschaft der Menschen er überall wiedergefunden habe, sagte:
Sie haben einen Hang zur Faulheit.
Manchen wird es dünken, er hätte richtiger und gültiger gesagt:
Sie sind alle furchtsam. Sie verstecken sich unter Sitten und Meinungen.
Im Grunde weiß jeder Mensch recht wohl, dass er nur einmal, als ein Unikum, auf der Welt ist
und dass kein noch so seltsamer Zufall zum zweiten Mal ein so wunderlich buntes Mancherlei zum Einerlei, wie er es ist, zusammenschüttelln wird:

Er weiß es, aber verbirgt es wie ein böses Gewissen — weshalb?
Bei den allermeisten ist es Bequemlichkeit, Trägheit, kurz jener Hang zur Faulheit,
von dem der Reisende sprach.
Er hat Recht:

Die Menschen sind noch fauler als furchtsam und fürchten gerade am meisten die Beschwerden, welche ihnen eine unbedingte Ehrlichkeit und Nacktheit aufbürden würde.

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 – 1900), deutscher Philosoph, Essayist, Lyriker und Schriftsteller, Quelle: Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen, 1873-1876. Schopenhauer als Erzieher, 1874

Ich wünsche euch, dass ihr es euch erlaubt
eure träge Faulheit, welche euch strömend erschlaffen lässt,
diese genussvoll zu spüren und zu akzeptieren
um dann bewusst wandelnd die Muße in eurem Leben genießen zu können
herzlichst eure Ute Weiss-Ding

 

Akseli Gallen-Kallela

Akseli Gallen-Kallela

Bilder: Akseli Gallen-Kallela 1865 -1931, war ein finnischer Maler, Architekt und Designer. Er ist besonders für seine Illustrationen zum finnischen Nationalepos Kalevala bekannt und ist der wohl bedeutendste Vertreter der finnischen Nationalromantik in der Bildenden Kunst.

Quellen:
und wer noch mehr über Alfred Adler erfahren möchte:

http://www.textlog.de/adler-psychologie-menschenkenntnis-allgemeiner-teil.html

Museum Entenhausen: Erika-Fuchs-Haus, Museum für Comic und Sprachkunst, Bahnhofstraße 12, 95126 Schwarzenbach a. d. Saale, Tel: +49 (0)9284/9498120

http://www.erika-fuchs.de/

https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite

Eine österreichische, in Wien erscheinende Tageszeitung – nach dem Vorbild der New York Times.

http://derstandard.at

 

 

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