Der Herbst und der Hochmut


38. Wochentipp – Thema
Einfach so – (zeitlos) so einfach
Zum Herbstanfang am 22. 09. 2016
geht es gar fabelhaft mit zwei Fabeln zur Sache

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Alles hat seine Zeit:
Winter und Sommer,
Herbst und Frühling,
Jugend und Alter,
Wirken und Ruhe.
Johann Gottfried von Herder (1744 – 1803), deutscher Kulturphilosoph, Theologe, Ästhetiker, Dichter und Übersetzer

Wie jeder weiß, liebe ich diese ethisch berührenden Erzählungen, genannt Fabeln.
Wohlig passend zur Herbstanfangs-Woche habe ich für den 38. Wochentipp zwei allerliebste Fabeln ausgesucht.
Die Tage werden kürzer, kühler und für mich wohlig behaglich.
Eine farbenreiche veränderliche Zeitspanne, die bunten Blätter der Bäume verabschieden sich leise fallend, ihr Leben langsam aushauchend. Auch nach und nach verlassen wehmütig die farbenfrohen Blumen und Früchte, die Flora und Fauna. Wie eine Diva lässt sich die Helligkeit mit ihrem Erscheinen morgens länger Zeit und wie ein Dieb so leise schleicht sich abends die Dunkelheit immer schneller ein.
Ach, was soll es, dann nutzen wir eben diesen anmutig farbigen Zeitabschnitt, um beim Lesen der folgenden zwei Fabeln uns eines der gar apartesten, hochaktuellen Geistesgifte, wie dem Hochmut (Überheblichkeit gepaart mit Einbildung), sinnlich sinnend hinzuwenden.
Nachdenkend anstupsen nenne ich dieses.

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Und weiter geht es mit einer kleinen Info:  
Dieser wenig erquickliche Wesenszug ist einer von den sieben Lastern der Menschheit und entstammt aus dem Katalog der sieben Hauptlaster (Todsünden). Seit dem vierten Jahrhundert wurden sie von der katholischen Kirche als „Sünden“ deklariert, angelehnt an die sieben schlechtesten Charaktereigenschaften, diese wurden immer wieder variiert:

  • Hochmut – Superbia
    (Stolz, Übermut, Überheblichkeit, Selbstgefälligkeit, Vermessenheit, Frevel, von sich selbst eingenommen, hier sind Egozentrik, Narzissmus, Arroganz und Blasiertheit mit im Bunde)
  • Wollust – Luxuria
    (Genuss auslösender Reiz, Begehren, Genusssucht, Verlangen, Ausschweifung)
  • Geiz – Avaritia
    (Habgier, Gier)
  • Zorn – Ira
    (Wut, Rachsucht)
  • Völlerei – Gula
    (Maßlosigkeit, Selbstsucht, Gefräßigkeit)
  • Neid – Invidia
    (Eifersucht, Missgunst)
  • Faulheit – Acedia
    (Trägheit des Herzens, Feigheit, Ignoranz)

Bravo, ab hier dürft ihr gar lustvoll die beiden Fabeln lesen, auf dass wir uns gemeinsam dieser herrlichen um sich greifenden „Untugend“ oder vielleicht besser „schlechten Gepflogenheit“ gefahrlos annähern, denn diese hat ja aber auch rein gar nichts mit uns zu tun – oder?

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Der Fuchs und die Trauben

Eine Maus und ein Spatz saßen an einem Herbstabend unter einem Weinstock und plauderten miteinander. Auf einmal zirpte der Spatz seiner Freundin zu: „Versteck dich, der Fuchs kommt“, und flog rasch hinauf ins Laub.

Der Fuchs schlich sich an den Weinstock heran, seine Blicke hingen sehnsüchtig an den dicken, blauen, überreifen Trauben. Vorsichtig spähte er nach allen Seiten. Dann stützte er sich mit seinen Vorderpfoten gegen den Stamm, reckte kräftig seinen Körper empor und wollte mit dem Mund ein paar Trauben erwischen. Aber sie hingen zu hoch.

Etwas verärgert versuchte er sein Glück noch einmal. Diesmal tat er einen gewaltigen Satz, doch er schnappte wieder nur ins Leere.

Ein drittes Mal bemühte er sich und sprang aus Leibeskräften. Voller Gier huschte er nach den üppigen Trauben und streckte sich so lange dabei, bis er auf den Rücken kollerte. Nicht ein Blatt hatte sich bewegt.

Der Spatz, der schweigend zugesehen hatte, konnte sich nicht länger beherrschen und zwitscherte belustigt: „Herr Fuchs, Ihr wollt zu hoch hinaus!“

Die Maus äugte aus ihrem Versteck und piepste vorwitzig: „Gib dir keine Mühe, die Trauben bekommst du nie.“ Und wie ein Pfeil schoss sie in ihr Loch zurück.

Der Fuchs biss die Zähne zusammen, rümpfte die Nase und meinte hochmütig:
„Sie sind mir noch nicht reif genug, ich mag keine sauren Trauben.“
Mit erhobenem Haupt stolzierte er in den Wald zurück.
Aesop

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Eine Begegnung

 

Der Hochmut ging eines schönen Tages spazieren.
Er trug eine Krone aus Seifenblasen auf dem Kopf, und die schillerten bunt und prächtig im Sonnenschein. An seinem purpurfarbigen Gewand hingen zahllose vergoldete Glaskugeln; die Plattfüße hatte er in Schuhe mit ungeheuren Hacken gesteckt und schritt auf ihnen so majestätisch einher, wie ein hölzerner König in der Puppenkomödie.
Sein breites Gesicht strahlte von Selbstzufriedenheit, seine roten, fingerdicken Lippen waren verächtlich verzogen; aus halbgeschlossenen Lidern blickte er um sich, als ob nichts da wäre, der Mühe wert, ihm einen ganzen Blick zu gönnen.

 

Da kam ein Wesen ihm entgegen, bei dessen Erscheinen er stutzte.
Ein Wesen von schlichtem Aussehen; bescheiden sein Gang, seine Haltung, seine Gebärde; schön sein Angesicht, auf dem ein edler Ernst und tiefinnerlichsten Frieden sich malten.

Weiche mir aus!“ rief der Hochmut ihm zu.

„Gern“, erwiderte der Andere lächelnd, und gab Raum.

Dennoch fühlte der Hochmut sich verletzt: „Du lächelst? wie darfst du es wagen, zu lächeln in meiner Gegenwart?“ schnaubte er und warf sich wütend auf den Beleidiger.
Dieser wehrte ihn nicht ab, regte sich nicht einmal, stand nur ruhig und fest.
Der Hochmut aber stürzte zur Erde, und alle seinen Seifenblasen zerplatzten, und alle seine Glaskugeln lagen in Scherben — er war an das Verdienst angerannt.

Marie von Ebner-Eschenbach 1830 in Mähren-1916 in Wien, sie war eine österreichische Schriftstellerin und gilt mit ihren   psychologischen Erzählungen als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Erzählerinnen des 19. Jhds.
Verdienst ist eine große oder kleine selbstlose Leistung zum Wohle anderer Menschen, die von allen anerkannt wird.

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Meine Lieben, sich seiner Sehnsüchte und seiner Bedürftigkeit in seinem eigenen Leben bewusst zu werden und zu sein, um sich –  selbst – bewusst – sehen, hören und spüren zu können, sich selbst und somit auch anderen Beachtung schenken zu können, das ist wahre aktive Attraktivität im Sinne von Anziehungskraft und Charisma, so wie die Natur zum Beispiel im Herbst farbenprächtig und authentisch ihr schönes Gesicht zeigt.

  • Die erste Grundvoraussetzung hierfür lautet, sich seines eigenen Mangels an persönlicher Wahrnehmung erst einmal bewusst werdend einzugestehen und sei es mit Hilfe von Freunden, Familie oder therapeutischer Unterstützung.
    Indem ich mich im Laufe der Zeit selbst-bewusster wahrnehme und auch kennenlerne, bewege ich mich selbst heilend immer mehr in Richtung gesunder, heilsamer Bewusstwerdung.

 

  • Während dieses Prozesses dürfen wir immer mehr unserer eigenen wahrhaftigen
    „Ich-Seele“, unserem wahren „Ich“ mit all seinen dunklen bis hellen Facetten erkennend begegnen.

 

  • Unsere Sehnsüchte und Bedürfnisse haben hier Platz zur Verwirklichung, folgen keinen falschen Trugbildern mehr und keine Angst besetzten Schatten werden unser bewusstes Selbst darüber hinaus dominieren.
Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Sich von sich selbst abzuwenden, indem man sich gefühllos abschneidet von seinem wahren „Ich“ und dazu begehrlich im Außen in immer übermütig werdender Selbstüberschätzung, in welcher Form auch immer auslösend, gepaart mit einem scheinbaren Reiz nach einem Genuss, welcher einen dann innerlich Dinge begehren lässt, die einen mit einem fieberhaften Verlangen nach mehr „Ansehen, Einfluss, Image, Prestige usw.“ – einen innerlich nach sich selbst verzerren lässt.
Bis nur noch eine leere Hülle unseres Seins von uns übrig bleibt.
Dies vermag andere Menschen für eine gewisse Zeit blenden zu können, aber wie es so ist, Trugbilder lösen sich irgendwann einmal schwabbelig in Nebel auf.

 

Das eigene Selbst zerstörerische Potential, ist sicherlich auch ein Ausdruck unserer modernen, von Medien geleiteten Gesellschaft, hier wird uns gekonnt manipulativ vorgesetzt und einprägend das Denken vernebelt, dass wenn wir dieses oder jenes so oder so machen, dann werden wir schon irgendwann erfolgreich, schön, anziehend etc. sein.
Wir werden wie dumme „Schäfchen“ vorgeführt, dann abgezockt, dazu für blöd verkauft und das Ganze mit unseren  schillernden Seifenblasen im Gehirn, die irgendwann zerplatzen. Hochmut kommt halt eben vor dem Fall.

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Den Preis, den wir bezahlen für unser unreflektiertes seelenloses Verhalten, für dieses angebliche Dazugehören, um irgendeinen zweifelhaften Ruhm der Anerkennung zu ernten oder Bestätigung, Ansehen und Aufmerksamkeit trügerisch zu erhaschen, heißt von unserer eigenen Wahrhaftigkeit gefühllos abgeschnitten zu sein.
Konsumieren ohne nachzudenken – Trends mitmachen ohne diese zu hinterfragen usw. – Vereinfacht ausgedrückt – ohne zu prüfen, zu fühlen und zu spüren, dieses Bewusstsein in Allem zu erlangen, geht nur indem wir lernen Eigenverantwortung zu übernehmen hin zum Anfang zur bewussten Verantwortung auch für unser gesellschaftliches Miteinander. Hier dürfen wir es uns erlauben – uns auch unbequeme Fragen zu stellen und nach Antworten zu forschen.

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Ich glaube, dass es auf der einen Seite schon sehr viele Menschen gibt, die den nachhaltigen, gesellschaftlichen Entwicklungsprozess unterstützen.
Auf der anderen Seite ist jeder Einzelne aufgerufen, sich seiner  strategischen, methodischen Form des Nachzudenkens hin zu öffnen, um sich von diesem dümmlichen Machen und auch Druck ausübenden „Angepasst Sein“ zu befreien.

Auf lange Sicht hin gesehen, erlösen wir uns selbst durch das Mit- und Nachdenken von unserem inneren Druck des immer gleichgeschalteten Machens, hin zu unserer natürlichen, innewohnenden, feinfühligen Kraft der bejahenden heilsamen Veränderung und bis hin zur Eigenverantwortung und der Verantwortung gegenüber unserem sozialen Miteinander.
Hier wäre dann „in der Tat, tat-sächlich“ der größenwahnsinnige Hochmut überflüssig, hier zählt uneingeschränkt der Verdienst des Einzelnen, auch zum Wohle der Gemeinschaft.

Und das fühlt sich dann in unserem Leben einfach so – so einfach so was von einem zu sich selbst hinwendenden, emanzipierten, lustvollen, voller Leichtigkeit lebenden gemeinschaftlichen GUUUUT an.

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

 

Herbstsolo

 

 

Zwischen dem traumhaft, verlockend flauschigen Grün des Sommers
und dem hüllenlosen, silbrigen Grau des Winters liegt der leuchtend bunte Herbst.
Ach, ihr Lieben, was vergeht die Zeit so schnell in ihrer Vielfalt …
Ute Weiss-Ding

 

 

… aber

 

 

„Ich denke froh und heiter,
Glück ist mein Begleiter.“

Ulrich Ernst Theodor Strunz ist ein deutscher Internist, Buchautor und ehemaliger Triathlet.

 

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

 

Zum Spätsommerlichen Abgang:
– Melancholisch wehmütig –
Nietzsche und der Herbst

 

 

Dies ist der Herbst:
der – bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!
Die Sonne schleicht zum Berg
Und steigt und steigt
Und ruht bei jedem Schritt.

 

 

Was ward die Welt so welk!
Auf müd gespannten Fäden spielt
Der Wind sein Lied.
Die Hoffnung floh –
Er klagt ihr nach.

 

 

Dies ist der Herbst:
der – bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!
O Frucht des Baums,
Du zitterst, fällst?
Welch ein Geheimnis lehrte dich
Die Nacht,
Daß eisiger Schauder deine Wange,
Die Purpur-Wange deckt? –

 

 

Du schweigst, antwortest nicht?
Wer redet noch? – –

 

 

Dies ist der Herbst:
der – bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!
Ich bin nicht schön
– so spricht die Sternenblume –,
Doch Menschen lieb ich
Und Menschen tröst ich –

 

 

Sie sollen jetzt noch Blumen sehn,
Nach mir sich bücken
Ach! und mich brechen –
In ihrem Auge glänzet dann
Erinnerung auf,
„Erinnerung an Schöneres als ich: –
– ich seh’s – und sterbe so.“ –

 

 

Dies ist der Herbst:
der – bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 – 1900), deutscher Philosoph, Essayist, Lyriker und Schriftsteller, Quelle: Nietzsche, Nachgelassene Fragmente. Herbst 1884

 

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Der herbst und der Hochmut, Giuseppe Arcimboldo

Ich wünsche euch,
dass der Herbst euch auf das vergnüglichste inspiriert,
und ihr dann genussvoll spürend
des Herbstes wundervolles, buntes Frohlocken genießen könnt
herzlichst eure Ute Weiss-Ding

Bilder: Giuseppe Arcimboldo 1526-1593, war ein italienischer Maler der Spätrenaissance, speziell des Manierismus. Berühmt sind seine Tafelbilder, auf denen er Blumen, Früchte oder Gemüse, aber auch anorganische Objekte wie Bücher darstellte und daraus überraschende Porträts oder Stillleben komponierte.

 Quelle: Das kleine Fabelbuch, von Reinhard Atzbach, Edition Aisopus
http://www.hr-online.de/website/specials/wissen/index.jsp?rubrik=77227

http://eins.dwds.de/